Wandern,
das kann jeder bestätigen, ist eine eher mühsame und unangenehme
Angelegenheit, besonders dann, wenn die Sache auch noch zu Fuß vonstatten
gehen muss.
Wenn man sich dabei auch noch alle möglichen alten Kirchen ansehen
soll, ist die Langeweile eigentlich schon vorprogrammiert. Kommt
womöglich noch Regen hinzu, ist das Elend perfekt. Solch ein Vorhaben
aber auch noch als Projekt an einem Gymnasium anzubieten, wie jüngst
am Norbi geschehen, das ist eigentlich schon die Höhe: „100 Kilometer
Straße der Romanik zu Fuß“. Kirchen angucken - wen sollte das denn
schon interessieren? Immerhin haben sich sechs Leute gefunden, denen
anscheinend nichts besseres einfiel. Pater Andreas und Dr. Kalvelage
als Initiatoren dieser „grandiosen“ Idee machten sich also mit diesen
Schülern zu Beginn der Projektwoche auf den Weg. Das stelle man
sich mal vor: Insgesamt acht - Verzeihung! - Deppen latschen den
ganzen Tag, die ganze Woche von einer Kirche zur anderen. Angefangen
bei dieser Mickerkirche von Lostau geht es anschließend stundenlang
durch den Wald nach Burg. Noch besseres Beispiel: Am 2. Tag von
Bebertal nach Groß Ammensleben, ca. 17 Kilometer zu Fuß und sechs
Kirchen. Davon war eine leer, von einer anderen war nur noch der
Turm da und davon fehlte auch noch das Dach und eine hatte nicht
mal einen Turm. Hätte es noch eine siebte Kirche gegeben, hätte
man wahrscheinlich von der nur das Dach gesehen oder sie wäre gar
nicht da gewesen oder sonst was. Zwischendurch, unterwegs lesen
sie runter gefallene Äpfel auf und bewerfen sich damit gegenseitig
und lachen sich auch noch halb tot. Und am Ende kommen die an der
Kirche von Groß Ammensleben an, wo Herr Löderbusch sonntags auf
der Orgel klimpert. Und der erzählt ihnen noch ewig lange, dass
die Kanzel von Anno Piff und die Kirche von Anno Paff ist. Ich meine,
wer interessiert sich ernsthaft dafür? Und Hand aufs Herz - ist
das zu irgend etwas nütze? Oder am 3. Tag in Pretzien: Wandmalereien
ansehen, die irgendwelche Spinner unter irgendwelchen Farbschichten
vorgekratzt haben, weil sie denken, das ist was ganz Besonderes,
bloß weil sie besonders alt sind. Und alle tun so interessiert und
wollen dann auch noch auf den Turm. Schließlich kommen sie endlich
aus der Kirche und beschmeißen sich wieder gegenseitig fast eine
halbe Stunde lang (diesmal mit Birnen) und johlen wie die Bekloppten.
Man könnte fast meinen, die hätten sogar Spaß dabei gehabt. Selig
sind die geistig Armen! Und am 4. Tag sind sie nach Jerichow gefahren,
Klosterkirche angucken: Hauptschiff, Querschiff, Seitenschiff, Kreuzschiff,
Dampfschiff, Krypta, Vierung und so weiter und so weiter. Dann stundenlang
latschen und wieder in ‘ne Kirche und so weiter und so weiter. Ernsthaft,
die machen doch anderen was vor: Den ganzen Tag laufen, in irgendwelche
Kirchen rennen, mit Obst schmeißen und dann noch so zu tun, als
hätte man Spaß dabei. Aber jetzt kommt´s: Die wollen das im nächsten
Jahr wieder machen - und zwar alle.
Dr. H. Kalvelage
Quelle: Urbi @ Norbi, September 2003
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