„Haben Sie unsere Kirche schon von innen gesehen? Dann kommen Sie
mal!“ Nicht ohne Stolz zeigt Doris Wacha Besuchern die Pfarrkirche
St. Nikolaus in Adersleben, östlich von Halberstadt in
Sachsen-Anhalt. Und tatsächlich: Das barocke Gotteshaus, das
äußerlich saniert mitten auf einem ziemlich trostlosen, ehemaligen
Gutshof steht, macht in seinem Innern einen hellen, einladenden
Eindruck. Jeden Sonntag feiert die rund 50 Gottesdienstbesucher und
250 Mitglieder zählende Gemeinde hier heilige Messe, und auch an
manchen Werktagen versammeln sich Gläubige zum Gottesdienst. Pfarrer
ist allerdings keiner mehr am Ort, der letzte Seelsorger starb 1997.
Er hatte seit 1990 für die Restaurierung der Kirche gesorgt. Die
Gemeinde wird heute durch den Pfarrer von Gröningen betreut. Gute
Seele im Pfarrhaus, einem Teil der einstigen Klostergebäude, ist die
70-jährige Doris Wacha, Haushälterin des letzten Pfarrers.
Der
barocke Altarraum, aber auch die Orgel der St.-Nikolaus-Kirche
präsentieren sich so, wie sie vor 250 Jahren von ihren Baumeistern
geschaffen wurden. Eine ebenfalls gut erhaltene, gotische
Muttergottesstatue vor dem linken Seitenaltar verweist jedoch noch
auf weit frühere Zeiten, als hier bereits ein Gotteshaus stand.
„Unsere kleine Pfarrei hat eine lange, auch über die
Reformationszeit währende Geschichte“, erklärt Frau Wacha. Am 6.
Dezember 1260 wurde hier ein Frauenkloster eingeweiht und zehn Jahre
später mit der schon davor bestehenden Pfarrei vereinigt. Der Propst
des Klosters war zugleich der Pfarrer. Das Kloster hat bis zur
Enteignung seiner Güter durch den preußischen Staat im Jahre 1809
bestanden.
„Dass das Zisterzienserinnenkloster Adersleben, aber etwa auch das
ebenfalls nahe Halberstadt gelegene Benediktinerkloster Huysburg
oder das Benediktinerkloster Groß Ammensleben nördlich von Magdeburg
so lange existieren konnten, hängt vor allem mit der Bursfelder
Reform im 15. Jahrhunderts zusammen“, erklärt Pfarrer Peter Zülicke
aus Staßfurt, der sich ausführlich mit der Kirchengeschichte der
Region und des 1994 wieder errichteten Bistums Magdeburg beschäftigt
hat. 14 Klöster im einstigen Bistum Halberstadt und drei im alten
Erzbistum Magdeburg sind über die Reformation hinweg vor allem
deshalb katholisch geblieben, weil in ihren Mauern solides
klösterliches Leben praktiziert und auch die wirtschaftlichen
Verhältnisse stabil waren. Mönche des Klosters Huysburg, in dem seit
1972 wieder Benediktiner leben, gehörten zur Gründungsgruppe der
Bursfelder Reformkongregation. Dabei handelte es sich um einen
Zusammenschluss deutscher Mönchsklöster zur geistlichen Erneuerung
und gegenseitigen Stärkung. Als die Anhänger Martin Luthers die
Reformation in die Klöster bringen und sie aufheben wollten,
weigerten sich diese Ordensleute. Die Folge waren nicht selten
Plünderungen und Brandschatzungen im Bauernkrieg und auch in
späteren Jahren.
„Auch Adersleben war betroffen. Das Kloster wurde 1525 völlig
ausgeplündert“, erzählt Doris Wacha. Dabei wurde auch die gotische
Dorf- und Klosterkirche zerstört. Doch die Zisterzienserinnen
setzten ihr gemeinsames Leben fort, mussten zeitweise im Dorf
unterkommen, zogen einige Jahre ins zwölf Kilometer entfernte
Halberstadt, um schließlich in Adersleben wieder von vorn zu
beginnen.
Ähnlich verlief die Geschichte in dem nördlich von Magdeburg
gelegenen Benediktinerkloster Groß Ammensleben, wo bis in die
Gegenwart mit Stefan Lorek noch ein katholischer Pfarrer wirkt. Die
einstige Klosterkirche liegt an der Straße der Romanik; denn die
Basilika St. Peter und Paul reicht in ihren Mauern bis ins 12.
Jahrhundert zurück. Auch die Mönche von Groß Ammensleben hatten im
15. Jahrhundert ihr zuvor heruntergekommenes Klosterleben
reformiert. Durch geschicktes Verhalten blieb das Kloster während
des Bauernkrieges unangetastet.
Trotz der Visitationen durch evangelische Landesherren im 16.
Jahrhundert widerstanden die Mönche allen Versuchen der Einführung
der neuen Lehre. „Für mich sind es vor allem die Äbte dieser Zeit
wie Ludgerus Huffgen, die für einen Fortbestand des Klosterlebens
sorgten“, sagt Pfarrer Lorek. In den weltlichen Gemeinden sei die
neue Lehre eher übernommen worden, wobei den Leuten oftmals nicht
bewusst gewesen sei, dass sie protestantisch wurden, meint Pfarrer
Zülicke. Zudem seien die Weltgeistlichen theologisch ungebildet
gewesen, eine Situation, die erst nach dem Trienter Konzil
(1545–1562) verbessert wurde. „Hinzu kommt“, so Zülicke, „dass noch
für einige Zeit der Erzbischof von Mainz und Magdeburg und Bischof
von Halberstadt, Kardinal Albrecht von Brandenburg, sowie die
nachfolgenden Administratoren für die Aufrechterhaltung des
katholischen Glaubens sorgten. Das Domkapitel machte in dieser Zeit
einen schlauen Zug: Es wählte ein zweijähriges Kind zum
Administrator, das erst mit 14 sein Amt antreten durfte.“ Mit dem
Westfälischen Frieden von 1648 galt dann: Was in den „Normaljahren“
1624 und 1627 katholisch war, durfte katholisch bleiben. Im
Domkapitel von Halberstadt übrigens blieben einige Plätze für
katholische Chorherren erhalten.
Dass die Klosterkirchen während der Säkularisation Anfang des 19.
Jahrhunderts Pfarrkirchen wurden, hängt auch damit zusammen, dass
die meisten der Klöster bereits seit dem Mittelalter Pfarrrechte
besaßen und die Pfarreien nicht angetastet wurden. Dies war im
Zisterzienserinnenkloster Adersleben genauso wie bei den
Benediktinern von der Huysburg oder in Groß Ammensleben. „Zum Teil
gab es da dann ganz eigentümliche rechtliche Konstruktionen“, sagt
Pfarrer Zülicke, „etwa, dass die Kinder der katholischen Christen
katholisch getauft werden durften, die Taufgebühr aber an den
evangelischen Pfarrer ging.“ In Groß Ammensleben ist seit 1580 an
der einstigen Klosterkirche auch ein evangelischer Pfarrer tätig. Es
finden also katholische und evangelische Gottesdienste statt.
Kirchenrechtlich gehörten die Pfarreien zum Apostolischen Vikariat
des Nordens und später zum Bistum Paderborn. Als 1804 die Huysburg
aufgelöst wurde, wurde ihr Prior, Carl von Eß, Bischöflicher
Kommissar für die Region. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
gab es in den Pfarreien nur sehr wenige katholische Christen. Carl
von Eß hatte in den Klöstern das Rückgrat der Seelsorge gesehen und
für die Zeit nach der Säkularisation sehr pessimistisch in die
Zukunft geblickt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich die
Situation jedoch durch verstärkt betriebene Landwirtschaft und die
aufkommende Industrialisierung. „Zahlreiche zuwandernde
Arbeitskräfte ließen die katholischen Gemeinden wachsen“, sagt
Pfarrer Zülicke. So kamen zum Beispiel „Schnitter“, Erntehelfer, aus
dem Osten, aber auch aus dem Eichsfeld und zum Teil aus Westfalen in
die Region.
Nochmals erheblich größer wurden die Gemeinden nach dem Zweiten
Weltkrieg, als viele katholische Heimatvertriebene aus dem Osten
nach Mitteldeutschland flüchteten. Heute jedoch sind die einstigen
Klosterpfarreien zahlenmäßig wieder recht klein geworden. Selbst in
Halberstadt, wo allein sechs Klöster bis zur Säkularisation
bestanden – zwei von ihnen hatten Pfarrrecht – gibt es heute nur
einen Gemeindeverbund unter Leitung von Franziskanern. Diese sind
seit 1223 am Ort.
Doris Wacha jedenfalls ist es schon ein wenig bange um die Pfarrei
in Adersleben. „Im Rahmen der Gründung von Pfarrverbünden wird
unsere Pfarrei St. Nikolaus künftig ebenfalls zum zwölf Kilometer
entfernten Halberstadt gehören“, erklärt die engagierte Frau. „Wir
haben schon Sorge, wie es weitergehen soll. 2010 würden wir gern den
750. Weihetag des Klosters Adersleben begehen. Erst aber hoffen wir,
dass wir im nächsten Jahr noch einmal in unserer Kirche Firmung
feiern können.“
Text und Foto:Eckhard Pohl
Quelle: KirchenZeitung für das Bistum Aachen, 13. November
2005, 60. Jahrgang. Nr. 46, S. 32f
im Internet unter »»KirchenZeitung für das Bistum Aachen
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